Jane Jacobs zum Thema Städte

 

Ideen von Jane Jacobs, unautorisierte Erklärung und Kommentar auf Englisch von Mark Rosenfelder, übersetzt von Raphael Landeck.


Ein Kommentar, den ich vor kurzer Zeit im Internet geschrieben habe, erwähnte Großstädte, was zu einer weit ausgedehnten Diskussion über städtische und ländliche Gegenden auf meinem Forum führte, und mich zu der Erkenntnis brachte, dass nicht genügend Leute Jane Jacobs gelesen haben.

Jane Jacobs Viele haben es; ihr The Death and Life of Great American Cities (1961), (Tod und Leben großer amerikanischer Städte, anscheinend vergriffen), ein Lob auf städtische Nachbarschaften und eine Warnung, das sie von den Großplanern der Stadterneuerung zerstört wurden, hat sich in vierzig Jahren von einem Ikonoklasmus zu einem Teil vieler Lehrpläne entwickelt.

Aber noch besser sind die weniger oft gelesenen The Economy of Cities (1970) und Cities and the Wealth of Nations (1984) (anscheinend keine deutsche Übersetzung), zwei Bände, die zusammen nicht weniger tun, als die ganze Makroökonomie einzureißen und wieder neu aufzubauen. Sie erklärt, dass die Volkswirtschaftslehre mit dem Werk in die falsche Richtung ging, auf das einer ihrer Titel anspielt, Adam Smiths The Wealth of Nations. (Manchmal als Wohlstand der Nationen, manchmal als Reichtum der Nationen und manchmal als Reichtum der Völker übersetzt.) Nationen sind nicht die angemessene Größeneinheit der makroökonomischen Analyse; Großstädte sind es. (Anmerkung des Übersetzers: Im Deutschen kann man diesen Schwerpunkt auf der Untersuchung der Wirtschaft ganzer Länder (der nach Jacobs' Ideen falsch ist) schon an dem Wort Volkswirtschaftslehre selbst erkennen.)

Jacobs kommt zu diesem Schluss, indem sie über die "Stagflation" der 1970er Jahre nachdenkt-- gleichzeitige hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Verteuerungsrate, etwas, das weder nach traditionellen linksgerichteten (keynesianischen) noch nach traditionellen rechtsgerichteten (monetaristischen) volkswirtschaftlichen Theorien hätte möglich sein sollen. Theoretisch gesehen hätte, wenn eins dieser beiden Dinge hoch war, das andere niedrig sein sollen. Sie weist darauf hin, dass dieser Zustand-- hohe Preise und nicht genug Arbeit-- in rückständigen Regionen ganz normal ist; westliche Volkswirtschaftler glaubten fälschlicherweise, dass das manchmal unterbrochene aber insgesamt dauerhafte Wirtschaftswachstum seit Smiths Zeiten der Normalzustand wäre.

Das Denken im Rahmen der Wirtschaft von Staaten verwischt die wirtschaftlichen Tatsachen. Sobald wir diese Sichtweise aufgeben, können wir erkennen, dass die Welt nicht aus entwickelten und armen Ländern, sondern aus entwickelten und armen Regionen besteht. Und es ist tatsächlich einer der großen Vorteile dieser Sicht, dass wir die rückständigen Regionen in der ersten Welt bemerken, und entdecken, dass sie der gleichen Dynamik folgen, wie die dritte Welt. Heutzutage geht es ihnen vielleicht wirtschaftlich einigermaßen gut, weil sie Transferzahlungen aus reicheren Regionen bekommen, aber sie sind wirtschaftlich trotzdem passiv.

Und die dynamischen Regionen liegen um Großstädte herum. (Die einzige scheinbare Ausnahme: Versorgungsregionen, das heißt, Regionen, die reich an Rohstoffen sind. Wir kommen später auf sie zurück; jetzt wollen wir erstmal nur feststellen, dass diese Regionen reich sind, weil Großstädte die Rohstoffe haben wollen und Leute von dort kommen, um sie zu holen. Die Araber mussten nicht über die Weltmeere fahren, um Leute aufzutreiben, denen sie ihr Öl verkaufen konnten.)

Städte und Landwirtschaft

Aber entwickeln Großstädte sich nicht aus der Landwirtschaft und hängen dann weiter von ihr ab? Nein: Jacobs sagt uns, dass jeder wirtschaftliche Fortschritt seinen Ursprung in Großstädten hat; und sie sagt dazu noch frech, dass jeder landwirtschaftliche Fortschritt seinen Ursprung in Großstädten hat. Große Neuentwicklungen, wie Erntemaschinen und Elektrizität, wurden in Großstädten selbst oder in ihrer Nähe erfunden und eingeführt, bevor sie in weiter entlegenen ländlichen Regionen übernommen wurden. Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft beginnen immer in der Nähe der Großstädte und breiten sich dann weiter aus.

Viehmastgroßbetriebe in Chicago, 1947 Vieles, was wir als rein ländliche Beschäftigungen ansehen, begann in den Städten. Im vormodernen Europa war das Weben die am weitesten verbreitete Heimarbeit auf dem Land; aber bevor Stoff auf dem Land gewoben wurde, war diese Kunst in Städten wiederentdeckt und ausgeübt worden. Die Bauern des frühen Mittelalters lebten von Getreidebrei; die Kunst des Brotbackens wurde zuerst in Städten wiederbelebt (und zwar mit Brot, das aus der Stadt selbst kam; eine mittelalterliche Stadt hatte ihre eigenen Felder). In unseren eigenen ländlichen Gegenden gibt es große Ranchen, in denen Vieh vor der Schlachtung gemästet wird; das sind Auslagerungen der städtischen Viehmastgroßbetriebe in Kansas City und Chicago.

Einen weiteren Nagel treibt Jacobs in die Idee der spontanen Entstehung von Städten aus der Landwirtschaft, indem sie die Unfähigkeit Irlands beschreibt, nach der verheerenden Hungersnot der 1840er Jahre wieder auf die Beine zu kommen:

Es gab keine Häfen, um Hilfslieferungen von Essen zu empfangen... Es gab keine Mühlen, um Hilfslieferungen von Getreide zu mahlen. Es gab keine Handwerker oder Werkzeuge und Ausrüstung, um Mühlen zu bauen. Es gab keine Öfen, um Brot zu backen. Es gab keine Wege, Wissen darüber zu verbreiten, wie andere Nutzpflanzen als Kartoffeln angebaut wurden. Es gab keine Methode, um die Samen anderer Nutzpflanzen zu verteilen, und auch keine, um die landwirtschaftlichen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die für einen Wechsel der Anbaupflanzen unbedingt nötig gewesen wären...

Sicher, die Iren waren in diese Lage gekommen, weil sie mit eisernem Griff in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unterwerfung gehalten wurden. Aber der Kern dieser Unterwerfung-- und der Grund, weshalb sie so effektiv war und die Iren so hilflos gemacht hatte-- war gerade die systematische Unterdrückung der städtischen Industrie; im Prinzip genau die gleiche Unterdrückung, von der die Engländer erfolglos versucht hatten, sie bei der entstehenden Industrie in den noch kleinen Städten der amerikanischen Kolonien anzuwenden.

Näher an der Heimat (aus amerikanischer Sicht) gibt es einen Bericht von einem gewissen Henry Grady, der 1880 über ein Begräbnis spricht, das ein paar Jahre vorher im Bezirk Pickens in Georgia stattfand.

Das Grab wurde durch soliden Marmor gegraben, aber der Marmorgrabstein kam aus Vermont. Es lag in einem Pinienhain, aber der Piniensarg kam aus Cincinnati. Ein Berg voller Eisenerz überschattete es, aber die Sargnägel, die Schrauben und das Schaufelblatt kamen aus Pittsburgh. Mit jeder Menge festem Holz und Metall in der Umgebung wurde der Leichnam auf einem Karren aus South Bend, Indiana, zum Grab gefahren. In der Nähe wuchs ein Gehölz aus Hickorybäumen, aber die Griffe der Pickel und Schaufeln kamen aus New York. Das Baumwollhemd, das der Tote trug, kam aus Cincinnati, der Mantel und die Hose kamen aus Chicago, die Schuhe aus Boston; die gefalteten Hände waren in weiße Handschuhe aus New York gehüllt... Dieses Land, das so reich an noch nicht erschlossenen Rohstoffen war, trug nichts zum Begräbnis bei außer dem Leichnam und dem Loch im Boden, und hätte wahrscheinlich diese beiden auch importiert, wenn das möglich gewesen wäre.

Grady beschreibt eloquent die Lage in einer passiven Wirtschaftsregion: Trotz all ihrer Ressourcen stellt sie nichts her.

Das Ersetzen von Importen

Der nächste Schritt, den Grady nicht geht, wäre es, zu bedenken, dass keiner der genannten Importe aus Atlanta kam, das achtzig Meilen entfernt lag. Nicht alle Großstädte sind dynamische Wirtschaftseinheiten; das Atlanta des Jahres 1880 war genauso passiv und unproduktiv wie sein ländliches Hinterland.

Japanischer Radfahrer Der fehlende Vorgang-- der Antrieb, den Jacobs für das gesamte Wirtschaftsleben findet-- ist das Ersetzen von Importen. Sie illustriert das mit den ersten Anfängen der Industrie in Japan. Vom späten neunzehnten Jahrhundert an importierte Japan Fahrräder. In Tokio entstanden Fahrradwerkstätten, die zuerst kaputte Fahrräder ausschlachteten, um an Ersatzteile zu kommen. Als es genug von diesen Werkstätten gab, fingen einige kleine Betriebe an, ein paar der am häufigsten verwendeten Teile selbst herzustellen. Immer mehr Teile wurden hergestellt, bis Tokio schließlich eigene Fahrräder herstellen und in andere japanische Städte exportieren konnte-- wo dadurch wiederum dieser ganze Vorgang ausgelöst wurde.

Dieser Vorgang schafft nicht nur Arbeit, er schafft Fachkenntnisse und Innovationen: Städte lernen, wie man Probleme auf neue Arten löst, und übertragen die Erfahrung, eine Sache auf einer anderen aufzubauen. Und der Vorgang schafft Wohlstand: Durch den Ersatz von Importen wird die Stadt reicher, da sie jetzt nicht nur immer noch hat, was sie vorher importiert hatte (im Beispiel die Fahrräder), sondern sich auch neue, teurere Importe leisten kann.

Das ist die Art, wie jede entwickelte Nation angefangen hat-- in Europa, in Amerika, in den jungen Wirtschaften Asiens; es gibt keinen anderen Weg.

Eine dynamische Großstadt verwandelt ihr Hinterland in etwas, das Jacobs eine Stadtregion nennt. Sie betont, dass dies die einzigen Regionen sind, in denen Entwicklung ausgeglichen abläuft. Arbeit auf den Bauernhöfen der Umgebung wird durch in der Stadt entwickelte Produktivitätssteigerungen revolutioniert; das setzt Arbeitskraft für Fabriken und andere aus der Stadt ausgelagerte Arbeit frei; und für Verbesserungen der Infrastruktur steht Kapital zur Verfügung.

Eine funktionierende Stadtregion braucht keine Entwicklungsexperten; sie entwickelt sich selbst. Amerika ist eine Nation, die ungewöhnlich reich mit Stadtregionen gesegnet ist-- aber es ist bei weitem nicht ganz mit ihnen bedeckt. Zum Beispiel fällt der südliche Rand von New Hampshire in die Stadtregion von Boston-- eine Tatsache, die die Politiker und Beamten von New Hampshire verärgert, da es ihnen natürlich lieber wäre, wenn die Entwicklung gleichmäßig über den Staat verteilt wäre. Aber die Stadtregion weigert sich einfach, so weit zu reichen.

Unausgeglichene Regionen

Großstädte lösen fünf Kräfte aus, die ihre Umgebung, oder die Welt im allgemeinen, verändern: Ihr Bedarf an Rohstoffen; ihr Vorrat an Arbeitsplätzen; ihre Produktivitätssteigerungen; Auslagerungen von städtischer Arbeit; und Investitionskapital.

Es ist vielleicht Jacobs' produktivste Erkenntnis, dass diese Kräfte nur in Großstädten und Stadtregionen im Gleichgewicht wirken. Außerhalb davon wirken sie jede für sich, und meistens auf zerstörerische Art. Eine nach der anderen:

  • Eine Versorgungsregion ist eine Quelle von Rohstoffen. (Wobei hier unter Rohstoffen auch die Produkte einer spezialisierten Landwirtschaft verstanden werden; Anmerkung des Übersetzers). Wir stellen uns Rohstoffe für gewöhnlich als Reichtümer vor, aber es wäre passender, zu sagen, dass die Götter, wenn sie eine Region verfluchen wollen, sie reich an Rohstoffen machen.

    Opernhaus von Manaus, Brasilien Versorgungsregionen können sagenhaft reich werden. Rohstoffe sorgten für den Kautschukboom des Amazonasgebiets zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, machten Uruguay Jahrzehnte später zur selbsternannten Schweiz Südamerikas, und liefern Saudi-Arabien heute seine Milliarden. Die Probleme tauchen auf, wenn die Rohstoffe woanders hinziehen (wie das dem Amazonasgebiet passierte), oder weniger wichtig werden (wie zum Beispiel, als Kunststoffe die Nachfrage nach uruguayischem Leder verringerten), oder ausgehen (was das Öl irgendwann tun wird).

    Eine Stadtregion ist Veränderungen gewohnt und erneuert sich ständig; bei einer Versorgungsregion ist das nicht so. Sie behandelt ihre Rohstoffe als ein Geschenk Gottes, eine anscheinend ewig sprudelnde Quelle; sie bereitet sich nur halbherzig auf das Ende des Booms vor, und wenn es kommt, wird sie kalt erwischt. Schon jetzt muss Saudi-Arabien, dessen Bevölkerung sich in ein paar Generationen verdreifacht hat, als ein armes und nicht als ein reiches Land gezählt werden, und die richtige Krise hat dort noch nicht einmal angefangen.

    Und es sollte betont werden, dass diese Fälle noch die glücklicheren sind, in denen die Einheimischen von den Rohstoffen profitieren konnten. Die Aymara, die das Pech hatten, in der Nähe von Potosí zu leben, hatten nichts von ihren Silbervorkommen; sie wurden zu Sklaven der Spanier. Das alte Ägypten schaffte es nie, aus seinem Getreidereichtum Macht oder wirtschaftliche Entwicklung zu gewinnen; es wurde nur zum Brotkorb der Griechen und später der Römer.

    Die Entwicklung von Städten wird oft einer guten Lage zugeschrieben; aber mit einer guten Lage kann man trotzdem unbedeutend bleiben. Sollte man nicht zum Beispiel erwarten, dass die Mündung des größten Flusses Neuenglands zum Zentrum seines Handels werden würde? Aber aus Old Saybrook wurde nie viel; es war Boston, dass zu einer Großstadt wurde.

    (Es gibt allerdings eine wichtige Ausnahme: Großstädte können sich in Versorgungsregionen entwickeln. Es scheint aber die Regel zu sein, dass die Wahrscheinlichkeit dazu in den am günstigsten gelegenen Regionen am geringsten ist. Es war der Norden der USA, nicht der reiche landwirtschaftliche Süden, der seine Industrie entwickelte. Japan ist bemerkenswert rohstoffarm; England ist keinesfalls eine Schatzkammer. Die erste europäische Stadt, die sich vom allgemeinen Niedergang des frühen Mittelalters erholte, Venedig, lag in einem Sumpf.)

  • Großstädte schaffen Arbeitsplätze, und ziehen damit viele Menschen aus ländlichen Gegenden zu sich. Als Beispiel nennt Jabocs die Kleinstadt Naziparo in Mexiko, deren einzige Einkommensquelle das Geld ist, das von Mexikanern, die in Los Angeles arbeiten, nach Hause zurückgeschickt wird. Es ist klug angelegt worden-- das Leben ist für die, die in der kleinen Stadt bleiben, ziemlich angenehm-- aber alle Versuche, die örtliche Wirtschaft aufzubauen, sind gescheitert. Die Arbeiter haben darüber nachgedacht, in Naziparo ihre eigene Fabrik zu gründen, aber es ist zu weit von Lieferanten und Kunden entfernt.

    Und das ist der bestmögliche Fall. Das übliche Schicksal von Regionen, die Arbeitsplätze verlieren, ist es, dass immer mehr Leute wegziehen, in einer Generation nach der anderen. Das Leben bleibt für die, die bleiben, das gleiche-- oder es verschlimmert sich; alle ziehen weg, und die Siedlung wird zu einer Geisterstadt.

  • Produktivitätssteigerungen, die in der Stadt und der Stadtregion so hilfreich sind, sind in ländlichen Regionen eine Katastrophe. Wenn durch eine Verbesserung ein Mann die Arbeit von sechs machen kann, dann sind die restlichen fünf "über"-- das heißt, arbeitslos und wahrscheinlich nicht zu beschäftigen.

    Shiaba, ein Dorf, das für Schafe geräumt wurde Zum Beispiel wurde in den 1790er Jahren eine neugezüchtete Schafsrasse im schottischen Hochland eingeführt, die die winzigen einheimischen Schafe ersetzte. Diese Schafe blühten und gediehen dort, aber um Weiden für sie bereitzustellen, wurden die örtlichen Bauern vom Land entfernt-- das heißt, mit Feuer und Bajonetten vertrieben. Viele verhungerten; andere zogen in die schottischen Großstädte-- wo es keine Arbeit für sie gab; einige wurden von ihren Lairds (adlige Grundbesitzer in Schottland) in die Leibeigenschaft verkauft. Diejenigen, die Glück hatten, wanderten aus.

    Im zwanzigsten Jahrhundert entwickelte Indien eine Spinnmaschine, die von einem Fahrradrad angetrieben wird und mit der ein Dorfbewohner die Arbeit eines Dutzends machen kann. Es war unmöglich, diese Maschine zu verbreiten, da es keine Möglichkeit gibt, die Hunderten von Millionen von Dorfbewohnern aufzufangen, deren Lebensunterhalt sie zerstören würde.

    Solche Verbesserungen funktionieren nur in der Stadtregion gut, wo die eingesparte Arbeitskraft zu anderen Arbeiten wechseln kann.

  • Eine fortgeschrittene Stadt kann ihre Arbeit auslagern: Ihre Fabriken sind unabhängig genug, um nicht mehr vom verwobenen Netzwerk von Lieferanten in der Großstadt abzuhängen, so dass sie an jeden beliebigen Ort auf der Welt verlegt werden können. Seit Jahrzehnten haben arme Regionen mit aller Kraft versucht, diese Auslagerungen zu sich zu holen, da sie Arbeitsplätze schaffen. (Wenn nicht schon seit Jahrhunderten: Zar Peter der Große hoffte, Russland im wesentlichen durch Auslagerungen zu entwickeln.)

    Aber gerade wegen der Fast-Unabhängigkeit der Auslagerungen schaffen sie keine Entwicklung. Fabriken (oder jeder beliebige Arbeitsprozess, der ausgelagert werden kann) sind nicht die Ursache wirtschaftlicher Entwicklung; sie sind eine Spätfolge.

    Der Palast Peters des Großen- von einem Italiener entworfen Jacobs bietet eine erbauliche Parabel an. 1975 unterzeichnete der Schah des Iran einen Vertrag, um in Isfahan eine gewaltige Hubschrauberfabrik zu bauen. Der Hauptlieferant war die Firma Textron, die eine Außenstelle in Euless, Texas, gründete, um sich um die Entwicklung des Hubschraubers selbst zu kümmern. Mit dem Fabrikbau wurde die Jones Construction Co. aus Charlotte, North Carolina, beauftragt.

    Jones delegierte den elektrischen Teil der Fabrik an die Howard P. Foley Co. in Washington DC; Foley beschäftigte sechs Elektrogroßhändler, darunter S-Tran Products aus Alexandria, Louisiana, wo man wiederum den Auftrag für die Schaltanlage an General Electric vergab, wo sich Betriebe in Texas, North Carolina, Illinois und Iowa um die Sache kümmerten. Den Auftrag für die Klimaanlage und die Wasserleitungen vergab Jones an die Sam P. Wallace Co. in Dallas, Texas, deren Netz von Sub-Subunternehmern 150 Firmen umspannte.

    Der Schah dachte, dass er Entwicklung kaufte und den Iran zu einer fortgeschrittenen Nation machte. Aber alles, was er gekauft hatte, war eine Fabrik, wenn auch eine gewaltige. Was er gebraucht hätte, um wirklich entwickelt zu sein, war etwas, dass er nicht kaufen konnte: Das Netz aus Tausenden von Unternehmen, die zusammen die USA überhaupt erst in die Lage versetzten, diese Fabrik zu bauen.

    (Am Ende bekam er nicht mal seine Fabrik-- er wurde gestürzt, als sie erst zu einem Drittel fertig war.)

  • Und schließlich erzeugt eine Großstadt enorme Mengen an ausströmenden (staatlichem und privaten) Investitionskapital, dass überall auf der Welt eingesetzt werden kann. Aber Kapital allein macht eine Region nicht produktiv, aus Gründen, die inzwischen bekannt sein sollten: Es schafft kein Netz aus vielfältigen, miteinander verbundenen kreativen Anbietern.

    Als Beispiel erzählt Jacobs die Geschichte der Tennessee Valley Authority (TVA, Tennesseetal-Behörde)- ein massives Projekt, mit dem eine der rückständigsten Regionen des Landes entwickelt werden sollte. Sein Herzstück waren Staudämme zur Elektrizitätserzeugung, die einen wichtigen Wirtschaftsfaktor zur Verfügung stellten: Billige und im überfluss vorhandene elektrische Energie, die Fabriken, in denen viel Energie gebraucht wurde, anzog.

    Es funktionierte, in dem Sinn, dass Fabriken eingeführt, Arbeitsplätze geschaffen und der ländliche Lebensstandard verbessert wurde. Aber auf einer grundlegenderen Ebene scheiterte es, da keine dynamische, import-ersetzende Stadtregion entstand. In den 1970er Jahren waren nach vierzig Jahren intensiver Hilfe Teile der Region immer noch verzweifelt arm. Als 1976 in dem Teil der TVA-Zone, der zu Alabama gehört, eine neue Fabrik eröffnet wurde, bewarben sich 40.000 Menschen um die 1400 zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze. Inzwischen waren der TVA die Flüsse ausgegangen, an denen sie noch Dämme bauen konnte; ihre Antwort bestand darin, erst (mit im Tagebau abgebauter Kohle befeuerte) Kohlekraftwerke zu bauen-- die den Kostenvorsprung der Region verringerten-- und dann Atomkraftwerke-- die diesen Vorsprung eliminierten.

Es gibt auch Regionen, an denen das Stadtleben vollkommen vorbeigegangen ist-- Gegenden, in denen hart gearbeitet wird, die aber von Selbstversorgungslandwirtschaft leben und deren Bewohner dabei langsam Fähigkeiten verlieren, die sie einmal hatten. Jacobs erwähnt eine Siedlung, in die ihre Tante als Missionarin geschickt worden war. Die Tante wollte eine Kirche aus den großen Steinen bauen, die man im Flussbett finden konnte; aber die Einheimischen erklärten geduldig, dass das unmöglich war. Wie jeder wusste, konnte Zement nur kleine Steine halten; und auch diese konnten nur für kleine Strukturen, wie etwa Kamine, benutzt werden-- bestimmt nicht für eine ganze Mauer. Das war nicht in der dritten Welt; es war im North Carolina der 1930er Jahre, und diese Leute waren Nachfahren von Menschen mit einer langen Tradition der Steinbaukunst.

(Eine kleine Schlussfolgerung: Wenn wir von Menschen hören, die auf einem extrem primitiven Niveau der materiellen Güter und Fähigkeiten leben, wie zum Beispiel den tasmanischen Ureinwohnern, dann haben wir es höchstwahrscheinlich nicht mit der ursprünglichen Lebensweise der Menschheit zu tun, sondern mit einem Volk, das auf ein tieferes Niveau gesunken ist, als es ursprünglich hatte.)

Wie man seine Großstädte erstickt

Die Idee, dass Wirtschaften zu Ländern und nicht zu Städten gehören, ist nicht einfach eine intellektuelle Verwirrung; sie behindert die wirtschaftliche Entwicklung-- das heißt, die Stadtentwicklung.

Eine Art, auf die sie das tut, ist durch landesweite Währungen. Der Wert einer Währung ist ein Rückkopplungsmechanismus. Wenn eine Währung anfängt, an Wert zu verlieren, dann wirkt das als ein automatischer, vorübergehender, genau eingestellter Zoll: Importe werden teurer, Exporte leichter. Das sollte dann den Ersatz von Importen und die Entwicklung neuer Exporte motivieren.

Ein-Shilling-Schein des Staates Massachusetts, 1776 Und das tat es auch, als jede größere Stadt ihre eigene Währung hatte, wie das fast bis zum Beginn des Industriezeitalters der Fall war. Aber landesweite Währungen zeigen eine verschwommene Mischung der Wirtschaft aller Großstädte des Landes an. Das ist besonders schlecht für eine in einer Wirtschaftskrise steckende Stadt in einem Land, das gerade einen Wirtschaftsboom erlebt, da sie genau die falschen Impulse bekommt. Eine starke Währung ermöglicht billige Importe, so dass die Stadt in der Krise weniger motiviert ist, sie zu ersetzen, und gleichzeitig werden die Exporte dieser Stadt geschwächt.

Falsche Rückmeldungen können manchmal durch ausdrückliche Zölle ausgeglichen werden. Ein Beispiel dafür war die Frühzeit der Vereinigten Staaten, deren Exporte damals überwiegend landwirtschaftlich waren. Die Impulse, die das Land aus dem Stand seiner Währung bekam, sagten ihm im wesentlichen, nach Belieben zu importieren, und das erstickte die städtische Industrie. Von 1816 an erhob die Bundesregierung Zölle, um industrielle Hersteller zu bevorzugen. Das funktionierte: Die Großstädte konnten jetzt im Wettbewerb mit den verteuerten Importen mithalten und fingen an, sie mit ihrer eigenen Produktion zu ersetzen.

(Das einzige Problem war, dass der Süden starke Exporte und keine nennenswerte Industrie hatte. Die Zölle führten im Süden zu nichts als Aufregung, und waren einer der Streitpunkte, die zu seiner Abspaltung führten.)

Als Japan sich industriealisierte, hatte es auch Zölle; man muss sich fragen, warum "Freihandel" zu einem Dogma geworden ist, das allen Ländern aufgezwungen werden soll. Die Antwort ist aber klar: Das wird nicht so gemacht, weil es Entwicklung fördert-- im Gegenteil. Es hilft Ländern, die schon starke Exportwirtschaften haben.

Darüber hinaus beschreibt Jacobs, was sie als "Killer städtischer Wirtschaften" beschreibt, oder neutraler, Transaktionen des Niedergangs. Diese sind:

  • Langanhaltene Rüstung. Viele Leute denken an die deutschen und amerikanischen Erfahrungen auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg und glauben, dass großangelegte Kriegsvorbereitungen die Wirtschaft stimulieren. Und das tun sie auch, solange sie zeitlich begrenzt bleiben.

    Das Problem ist, dass langfristige Militärausgaben im wesentlichen städtischen Wohlstand nehmen und ihn wegwerfen. Das Militär nimmt enorme Mengen an Produktion und Kapital auf und gibt (wirtschaftlich gesehen) nichts zurück-- die Produktion wird entweder im Krieg verbraucht, oder an Garnisonen verteilt, die selber nichts produzieren.

  • Langanhaltene Hilfszahlungen für arme Regionen. Jacobs sieht daran denselben Fehler, den sie auch an der Militärproduktion sieht: Das ausgegebene Geld ist steril. Es verbessert vielleicht das Leben der Leute, denen es direkt hilft; aber, wie bei der TVA, führt es nicht zur Entstehung von neuen Städten, die Innovationen und Wohlstand schaffen können.

  • Langanhaltener Handel zwischen fortgeschrittenen und rückständigen Gegenden. Wir hatten schon vorher damit zu tun, im Zusammenhang mit ausgelagerten Fabriken oder fehlgeleiteten Kapitalinvestitionen. Problematisch wird das, wenn die Gewinne aus solchen Investitionen in mehr vom Gleichen investiert werden, wie zum Beispiel bei den immer aufgeblaseneren Krediten an arme Länder.
Jacobs merkt an, dass solche Transaktionen die Beschäftigung von Imperien sind. Imperien werden von Städten aufgebaut; aber irgendwann fangen sie unvermeidlich an, den Wohlstand ihrer Städte für diese unproduktiven Zwecke einzusetzen, bis es zu Stagnation und Verfall kommt.

Wir haben weiter oben, als die irische Hungersnot erwähnt wurde, gelernt, dass Kolonialmächte gegenüber Entwicklung in ihren Imperien aktiv feindselig waren; sie wurde als Konkurrenz angesehen. Obwohl das nicht mehr offene Politik ist, habe ich den Verdacht, dass die Welt immer noch an den Auswirkungen dieser freiwilligen Unterstützung der Stagnation leidet. Arme Nationen gewöhnten sich nicht an, Importe zu ersetzen, und reichen Nationen geht es immer noch mehr darum, das Monopol für eine bestimmte Industrie zu bekommen und zu behalten, als darum, neue Arten von Arbeit zu entwickeln.

Großstädte können sich auch selbst ein Bein stellen:

  • Sie können das Unternehmertum einschränken. Die Habenden sperren die Habenichtse gern aus dem Geschäftsleben aus, wobei sie anscheinend glauben, dass Wohlstand ein Nullsummenspiel ist; das Ergebnis ist im besten Fall der Verlust von Wachstumsmöglichkeiten, und im schlimmsten Fall Stagnation und Verfall.

    Zum Beispiel fingen im England des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit die meisten Städte an, ihren Handwerkern zu verbieten, ihre Waren in andere Städte zu exportieren-- das wurde als Monopol an mächtige Händler gegeben. Aber neues Wachstum entsteht fast immer dadurch, dass Produzenten neue Arbeiten für den Export finden; die englischen Städte erdrosselten ihre eigene vielversprechende Entwicklung. (London blühte auf, weil es keinen derartigen Schwachsinn hatte.)

    Während des größten Teils unserer eigenen Geschichte wurden schwarze Unternehmen unterdrückt, wann immer sie gegründet wurden. Manchmal wurden sie einfach verboten, wie zum Beispiel, als Washington D.C. 1835 Schwarzen Ladengenehmigungen verweigerte. Manchmal war es verdeckt: In Rochester im Staat New York versuchten unternehmerische Schwarze um das Jahr 1900 herum, ihr eigenes Hotel zu bauen, und niemand wollte ihnen Grundstücke verkaufen. Manchmal war die Repression auf gemeine Art verfeinert: In den 1960er Jahren schrieb New York Aufträge für die Renovierung von 37 Gebäuden in Harlem aus; die Bewerbungsvorschriften verlangten, dass sich Firmen nur um die Aufträge für alle 37 Gebäude zusammen bewerben konnten, was praktisch bedeutete, dass alle örtlichen schwarzen Firmen ausgeschlossen wurden.

  • Sie können sich überspezialisieren. Der aufregende Erfolg von heute kann der Fehlschlag von morgen sein. Ein zu erfolgreiches Unternehmen wird größtenteils selbstversorgerisch, anstatt von einem Netz von miteinander verbundenen örtlichen Produzenten abzuhängen; diese sterben dann ab, und mit ihnen das Potential für neue Arbeit. Das ist im Großen und Ganzen, was mit Detroit passiert ist: Es war eine Weile ein vielfältiges Industriezentrum und brachte dabei die amerikanische Automobilindustrie hervor-- die dann, sobald sie sich selbst mit allem, was sie brauchte, versorgen konnte, die meisten ihrer Fabriken woanders hin verlegte; dabei ließ sie ihre Heimatstadt als etwas zurück, das mehr oder weniger wie die Überreste einer Supernova aussah.

    Stadt der Zukunft, 1830er Jahre Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts gingen Beobachter davon aus, dass Manchester, das vollkommen von seinen großen, abstoßenden Textilfabriken beherrscht wurde, die Stadt der Zukunft sein würde. Im Gegensatz dazu sah Birmingham chaotisch aus, mit keiner einzelnen Spezialität, nur einem Haufen kleiner Hersteller, die alles von Knöpfen über Glas und Gewehre bis zu billigen Metallspielzeugen herstellten.

    In den 1960er Jahren waren nur noch zwei britische Städte wirtschaftlich stark: London und Birmingham. Manchesters Fabriken der Zukunft waren schnell veraltet, als der Rest der Welt lernte, wie man effizient Stoffe herstellt, und die Stadt hatte nichts, um sie zu ersetzen. Birmingham fügte bis weit ins Hochtechnologiezeitalter immer wieder neue Arbeiten an (das Düsentriebwerk wurde teilweise dort entwickelt).

  • Sie können Größe verehren. Große Firmen ziehen von Natur aus Aufmerksamkeit und Kapital an; sie sehen immer wie ein sicherer Tipp aus. Aber neue Exportarbeiten-- und neue Arbeitsplätze-- werden für gewöhnlich von hungrigen jungen Firmen entwickelt.

    Jacobs erzählt, wie eine Stadt, die im Niedergang begriffen war, von einem Kapitalisten neu belebt wurde, der klug genug war, um das zu erkennen: Ralph Flanders, der zu dem Schluss kam, dass das Problem mit Boston war, dass es sein ganzes Kapital in unproduktive Wertpapiere, andere Städte, oder tote alte Unternehmen steckte. 1946 gründete er eine Risikokapitalgesellschaft, die darauf spezialisiert war, neugegründeten Firmen in Boston zu helfen (und zwar mit der damals noch unbekannten Vorgehensweise, die jungen Firmen zu finanzieren, aber nicht die Kontrolle über sie zu übernehmen). Es ergab sich, dass einer seiner ersten Kredite an eine Firma ging, die von drei Harvard-Wissenschaftlern gegründet worden war (Tracerlab, heute ECS Gauging), die nichts von den etablierten Bostoner und New Yorker Bankiers kriegen konnten. Es wurde ein großer Erfolg, und Flanders Firma, ARD, fing an, andere Hochtechnologiefirmen zu unterstützen (zum Beispiel DEC), womit sie half, einen Hochtechnologieboom in der Stadtregion von Boston zu schaffen. (ARD selbst trug zur Entwicklung der Risikokapitalbranche bei.)

Wie entwickelt man sich?

Die ultimative Frage unserer Zeit ist wie man eine Wirtschaft entwickelt. Der Wettkampf zwischen Kapitalismus, Faschismus und Kommunismus war eine Meinungsverschiedenheit zu diesem Thema; heute wird die Schlacht zwischen verschiedenen Formen des Kapitalismus ausgetragen. (Islamistischer Faschismus ist ein weiterer Eintrag im Wettbewerb-- die verzweifelte Zuflucht von Völkern, die erlebt haben, wie bei ihnen fast alles andere ohne Erfolg versucht wurde.)

Wenn Jacobs recht hat, dann machen das fast alle falsch, indem sie sich auf Länder anstatt auf Städte und auf ländliche anstatt auf städtische Gegenden konzentrieren, und indem sie Transaktionen des Niedergangs betreiben.

Gute Vorsätze sind nicht genug. In den frühen 1960er Jahren entschieden die Rockefellers, mit dem üblichen Dogma im Kopf, nach dem Wohlstand auf Landwirtschaft beruht, in einer winzigen Stadt in der sehr ländlichen Provinz Uttar in Indien eine Fabrik für Verhütungsspiralen zu bauen. Dadurch würden nicht nur die Spiralen die Geburtenkontrolle voranbringen, sondern es würden auch Arbeitsplätze in den ländlichen Gegenden entstehen, in denen sie gebraucht wurden.

Es war ein Fiasko. Es gab endlose kleinere Verzögerungen, beim Warten auf Werkzeuge und Versorgungsmaterial, beim Warten auf Reparaturen, beim Warten darauf, dass schlecht gemachte Arbeiten in Ordnung gebracht wurden. Es war schwierig, sich an die örtliche Stromversorgung anzuschließen; als das schließlich geschafft war, stellte sich heraus, dass sie nicht reichte. Es war schon fast ein Jahr vergangen, und die Fabrik war nicht arbeitsbereit; und es wurde klar, dass, wenn sie jemals mit der Arbeit anfangen würde, es praktisch unmöglich wäre, sie im Gang zu halten. Die Manager gaben auf und verlegten das Projekt in die nächste größere Stadt, Kampur-- wo sie die Fabrik innerhalb von sechs Wochen fertiggebaut bekamen und in Betrieb nehmen konnten.

Als ob er beweisen wollte, dass andere Ideologien auch nicht mehr Ahnung von Entwicklung hatten, zerstörte Mao China fast mit seinem Großen Sprung nach Vorne (1958), bei dem versucht wurde, die Großstädte zu umgehen und Fabriken überall in den ländlichen Gegenden Chinas zu verteilen; das Ergebnis waren Chaos und Hungersnöte.

Wie würde die Welt aussehen, wenn die Menschen Jacobs Ideen akzeptieren würden?

In wesentlichen Punkten würde sie so aussehen, wie sie es jetzt tut. Jacobs Punkt ist ja schließlich, dass Entwicklung aus Großstädten kommt, also ist jede echte wirtschaftliche Entwicklung, die wir sehen können-- zum Beispiel in Hongkong oder Seoul oder São Paulo-- sowieso schon "jacobeanisch". Die gute Nachricht ist, dass Stadtentwicklung ein natürlicher Vorgang ist, und oft liegt das Problem nicht darin, ihn in Gang zu kriegen, sondern darin, Dinge, die ihn behindern, zu entfernen.

Auf viele Arten würden wir einfach weniger Zeit und Geld für Sachen verschwenden, die nicht funktionieren:

  • Städte und Länder würden nicht versuchen, ausgelagerte Fabriken anzulocken (der Schwerpunkt der meisten gegenwärtigen internationalen Entwicklung). Im besten Fall würde das als ein Notbehelf angesehen werden, fast schon als reine Wohltätigkeitsmaßnahme.
  • Aus ähnlichen Gründen würde man sich weniger Mühe geben, Großunternehmen zu verwöhnen. Großunternehmen können sich selbst um ihre Angelegenheiten kümmern; sie brauchen nicht verwöhnt zu werden.
  • Länder und Städte würden alarmiert und nicht zufrieden sein, wenn ihr Wohlstand auf Rohstoffausbeutung beruhen würde; es wäre ihnen klar, dass das eine besonders verräterische Art von Glück ist, da sie nicht nur vorübergeht, sondern auch die Motivation für echte Entwicklung verringert, bis es zu spät ist.
  • Länder und Städte würden keine Angst davor haben, dass es Rivalen gut geht, denn eine größere Wirtschaft ist für alle gut. Großstädte hören nicht auf, zu importieren, wenn sie Importe ersetzen; sie wechseln einfach zu neuen Importen. Eine jacobeanische Nation würde sich keine Sorgen über Konkurrenz im Ausland machen, sondern über die Innovation neuer Arten von Arbeit zu Hause.
Und was positive Schritte angeht
  • Wenn eine Nation vorhätte, eine Region zu entwickeln, dann würde sie versuchen, eine importersetzende Großstadt zu schaffen. Eine jacobeanische Version der TVA hätte zum Beispiel versucht, aus Knoxville eine dynamische Großstadt zu machen.
  • Städte würden die Gründung kleiner, vielfältiger und innovativer Firmen ermutigen. Sie würden Entwicklungshürden (wie zum Beispiel Monopole, Rassen- oder Kastendiskriminierung, und großflächig angelegte Bebauungspläne) entfernen, und Risikokapitalanleger würden ums Überleben kämpfende Neugründungen finanzieren. (Jacobs sagt das nicht, aber ich denke, in den USA wäre eine landesweite Gesundheitsvorsorge eine große Hilfe; Mangel an betrieblicher Krankenversicherung hält Arbeiter davon ab, für kleine Firmen zu arbeiten.)
  • Eine Stadt würde sich auf Zusätze zu ihrer bestehenden Technologie konzentrieren. Nicht vergessen: Tokio entwickelte zuerst Fahrradwerkstätten, nicht die Autoherstellung. Hochtechnologie ist zwar sexy, aber sie gehört nicht wirklich in eine Stadt, solange sie nicht jeden Teil davon selbst herstellen kann.
  • Der Traum vereinigter Währungen würde aufgegeben werden, und zwar zugunsten kleinerer Währungsgebiete, die Städten die richtigen Rückmeldungen geben. Großstädte würden vielleicht auch vorübergehende Zölle erheben, um die örtliche Produktion zu ermutigen.
Wir würden auch relevantere Daten erheben. Viele der Daten, die nötig sind, um die Gesundheit einer Großstadt zu beurteilen, stehen nicht direkt zur Verfügung. Wieviel Vielfalt gibt es dort? Wie viele Importe werden ersetzt? Wie weit reicht die Stadtregion? Sind die Fabriken einheimische Gründungen oder Auslagerungen? Landesweite Daten bringen nicht viel, wenn es darum geht, diese Fragen zu beantworten-- zum Beispiel sind die Exporte einer Nation nicht einfach die Summe der Exporte ihrer Städte, da die Exporte der Großstädte zueinander genauso wichtig sind wie ihre Exporte ins Ausland.

Zum Weiterlesen

Jacobs lässt sich nicht leicht zusammenfassen-- sie packt kein Füllmaterial in ihre Bücher, und ihre Ideen sind so unorthodox, dass manchmal ein ganzes Buch gebraucht wird, um jedes einzelne aber zu beantworten.

Aber abgesehen davon ist es ganz einfach interessant, Zeit in ihrem Gehirn zu verbringen. Sie ist das Gegenteil der Art von moralisierender Science-Fiction, aus der viel zu viele politische und wirtschaftliche Texte bestehen: Sie ist voller Informationen und Anekdoten aus dem richtigen Leben, und sogar dann lesenswert, wenn sie sich ab und zu mit einer verrückten Lieblingsidee beschäftigt. Mit fast 90 schreibt sie immer noch; ihr neuestes Buch ist Dark Age Ahead (keine deutsche Übersetzung), das sich näher mit Zeiten des Niedergangs beschäftigt, und mit der Frage, ob wir auf eine zusteuern könnten. (Anmerkung des Übersetzers: Inzwischen ist Jane Jacobs im April 2006, kurze Zeit vor ihrem 90. Geburtstag, gestorben.)

Ein guter Anschluss an ihren Einsatz für Vielfalt und auf Menschen konzentrierte Werte in der Großstadt ist das Buch A Pattern Language des Architekten Christopher Alexander, dass die Architektur zu einem großen Teil so zerstört und wiederaufbaut, wie Jacobs das mit der Makroökonomie macht. (Auf deutsch als Eine Muster-Sprache erschienen, allerdings anscheinend nur sehr teuer zu kaufen.)

Oder man könnte einfach nur viel Sim City spielen-- die Entwickler des Spiels haben sowohl Jacobs als auch Alexander gelesen-- oder Civilisation, das von dem ultra-jacobeanischen Blickwinkel ausgeht, seine ganze Zivilisation nur mit Städten zu entwickeln.

 
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